Kleine Couch, große Wirkung. Couchsurfing hat mein Reisen grundlegend verändert. Doch was steckt eigentlich dahinter? Ist diese Art des Reisens wirklich zu empfehlen? Und kann auch eine Frau auf Couchsurfing-Reise gehen? Eine Idee, eine Couch, eine Erfahrung.

Couchsurfing: Kleine Idee mit großer Wirkung

Jan von habitgym.de hat die Bloggerwelt dazu aufgerufen, sich einmal Gedanken zum Thema “Kleine Idee, große Wirkung” zu machen. Welche Ideen hatten großen Einfluss auf unser Leben? Und wie genau kam es dazu? Als ich diese Blogparade entdeckt habe, schoss mir sofort ein Gedanke durch den Kopf – COUCHSURFING.

Ganz klar, die Idee des Couchsurfings stammt nicht von mir, aber sie hatte einen enormen Einfluss auf mein Reiseverhalten und auf meine Art auf neue Menschen, Kulturen und auch neue Lebenssituationen zuzugehen. Außerdem wette ich mit euch, dass auch der Erfinder des Couchsurfings Veit Kühne nicht damit gerechnet hat, einen derartigen Reisetrend ins Leben zu rufen. Hier ein kleiner Exkurs in die Welt des Couchsurfings und was diese Art des Reisens mit mir gemacht hat.

Couchsurfing – was ist das überhaupt?

In meiner Altersklasse (Ende 20) hat vermutlich jeder schon einmal davon gehört. Zumindest in Studentenkreisen ist diese besondere Form der Individualreise weit verbreitet. Warum ausgerechnet Studenten so häufig zu Couchsurfern werden? Weil sie zwar die Zeit aber nicht das Geld für kostspielige Reisen haben.

Couchsurfer schlafen nicht in Hotels oder Pensionen, auch keine Hostels oder Herbergen kommen in Frage. Ein Couchsurfer übernachtet auf der Couch eines anderen Couchsurfers. Den Kontakt stellt man über eine Plattform im Internet her. Die bekannteste darunter ist Couchsurfing.com. Darüber entdeckt man die sogenannten “Hosts”, also eben jene Couchsurfer, die ihre Sofas zur Verfügung stellen, und kann bei ihnen für die Zeit ihres Aufenthalts übernachten.

Was kostet Couchsurfing und welche Gegenleistung wird erwartet?

Keine! Der Urgedanke des Couchsurfings ist nicht kommerziell. Ganz im Gegenteil. Die Hosts verlangen kein Geld oder andere Gegenleistungen für ihre Couch. Es geht einzig darum, die Welt und neue Menschen kennenlernen zu können. Der Community-Gedanke zählt. Als ich vor Jahren zum ersten Mal davon gehört habe, war ich sehr skeptisch.

Welcher Mensch bietet einem Wildfremden schon einfach so sein Sofa zum Schlafen an? Aber es gibt sie und zwar nicht wenige. Inzwischen sind millionen begeisterte Couchsurfer auf diversen Plattformen registriert. Übrigens muss man dafür nicht im Gegenzug seine eigene Couch zur Verfügung stellen. Ich habe damals nicht alleine gewohnt und hätte auch gar nicht die Möglichkeit gehabt, mein Sofa anzubieten. Doch wenn jemand Interesse hatte, sich Leipzig anzuschauen, dann habe mich gerne auf einen Kaffee getroffen. Das war vollkommen ausreichend.

Wer hat Couchsurfing erfunden?

Die Frage, wer der Erfinder vom Couchsurfing ist, wurde ja lange diskutiert. Der Gründer der Plattform Couchsurfing.com ist Casey Fenton, er hat sein Gastfreundschaftsnetzwerk 2003 ins Leben gerufen. Doch der Urvater des Couchsurfing ist jemand anderes: der Koblenzer Veit Kühne.

Er gründete den Hospitality Club bereits im Jahre 2000. Inzwischen ist die Idee also schon lange nicht mehr neu und hat in den vergangenen 17 Jahren auch schon die ein oder andere Schlagzeile gemacht. Doch wie wirkte sich diese Art des Reisens auf mein Reiseverhalten aus?

Couchsurfing – ein Erfahrungsbericht

Ja, man kommt in die Jahre und ich muss inzwischen ganz schön grübeln, wann ich das erste Mal eine Couchsurfing-Reise gemacht habe. Es muss im Sommer 2009 gewesen sein. Ich erinnere mich, dass ich mit meiner Freundin Mandy (die, mit dem super leckeren Keksrezept) bei einem Stück Schokoladenkuchen gesessen habe. Es war im Winter, dunkel, nass und sehr kalt. Spontan überkam uns der Gedanke, dass wir verreisen müssten. Also haben wir kurzerhand den Laptop angeschmissen und geschaut, wohin wir in den nächsten Sommersemesterferien verreisen könnten. Das Ziel war uns eigentlich egal. Hauptsache sonnig und Flüge zum studentenfreundlichen Spottpreis. Wir entdeckten einen Flug nach Barcelona für niedliche 24 € pro Flug. DAS war unser Angebot. Wir haben sofort gebucht und uns schon im Schatten der Sagrada familia sitzen sehen.

Couchsurfing Barcelona

Dem Ziel schon so nah… Jetzt fehlt nur noch die richtige Couch.

Erst einen Moment später wurde uns klar, dass es mit den Flügen allein nicht getan sei. Wir würden auch irgendwo übernachten müssen. Wie genau wir dann auf Couchsurfing gekommen sind, weiß ich nicht mehr. Aber es war einen Versuch wert. Wir meldeten uns bei der Plattform couchsurfing.com an, die war zu dieser Zeit wahrscheinlich am bekanntesten. Wir legten ein Profil an, stellten gleich klar, dass wir leider keine Couch anzubieten hätten und machten direkt einen der schlimmsten Kardinalsfehler beim Couchsurfing: die unpersönliche Massenmail an ALLE.

Ja, Asche auf mein Haupt. Es war meine Idee, besonders praktisch und effektiv vorgehen zu wollen und einfach eine vorgefertigte Mail an alle möglichen Hosts in Barcelona zu schicken. Doch das ging voll nach hinten los. Denn Couchsurfer kennen sich! Vor allem die, die in einer Stadt leben. Und so bekamen wir direkt die Quittung: eine Flutwelle empörter Antworten.

Aber wir haben daraus gelernt. Wir haben uns die Profile potentieller Couchanbieter genauer angeschaut und sehr persönliche und vor allem individuelle Anfragen verschickt. Schon wenige Tage später hatten wir eine Zusage. Ein Couchsurfer namens Ingmar wollte uns seine Couch zur Verfügung stellen. Perfekt.

Couchsurfing für Frauen? Ist das nicht gefährlich?

Bis dahin hatte ich mir absolut keine Gedanken darüber gemacht, dass beim Couchsurfing Risiken lauern könnten. Auch unser freundlicher Host machte einen sehr soliden und netten Eindruck. Doch nachdem alles in Sack und Tüten war, ging das Bevormunden durch Dritte auch schon los…

Du machst Couchsurfing? Couchsurfing als Frau? Weißt du nicht, wie gefährlich das ist?

Und dann hörte ich eine Horrorstory nach der anderen. Vergewaltigung einer Couchsurferin. Frauen gezielt über Couchsurfing-Plattform angelockt. Mord und Totschlag beim Couchsurfing. Es wollte gar nicht mehr aufhören. Doch Mandy und ich ließen uns nicht beirren. Der Plan stand fest, jetzt wollten wir es auch durchziehen. Und sollte unser Ingmar doch komisch werden, könnten wir ihn ja mit einer Bratpfanne vermöbeln und anschließend in ein Hostel gehen.

wie geht couchsurfing

Mit dem Flugzeug gehts zum ersten Couchsurfer-Ziel.

Couchsurfing beim Schweizer in Spanien

Meine erste Erfahrung mit Couchsurfing fing bereits völlig absurd an. Unser Barceloner Host war nämlich gar kein Spanier, sondern ein Schweizer, der aus beruflichen Gründen nach Barcelona gezogen war – und das vor drei Tagen!

Als wir bei Ingmar klingelten, war er selbst gerade erst drei Tage zuvor in die Wohnung gezogen. Und der Witz dabei: Wir waren nicht seine ersten Couchsurfing-Gäste!

Als wir die winzige 1-Zimmer-Wohnung mitten in Barcelona betraten, da tummelten sich noch eingewickelt in Schlafsäcken zwischen Rucksäcken und Kartons fünf britische Couchabenteurer. Nein, kein Scherz. Mandy und ich traten ein und überlegten, wo wir uns hier noch hinquetschen sollten. Wir wussten ja, dass Couchsurfing sicher nicht komfortabel sein würde, aber dass wir uns stapeln müssten, damit hatten wir nicht gerechnet.

Eine der Engländerinnen erzählte uns, dass sie nur für die eine Nacht hier waren und in wenigen Stunden weiterreisen würden. Sie hatten bereits ihren nächsten Flug. Alle fünf waren Studenten, die sich seit einiger Zeit eine Auszeit vom stressigen Studentenleben nahmen und quer über den Globus reisten. Sie machten es genau wie wir. Sie suchten nach möglichst billigen Flügen und übernachteten bei Couchsurfern. So kamen sie von Land zu Land. Prompt luden sie uns ein, sie doch einfach zu begleiten.

Während ich noch fasziniert und mit offenem Mund darüber nachdachte, hatten die Briten bereits alles gepackt und das Zimmer war gar nicht mehr ganz so klein. Jetzt konnte ich sogar unseren eigentlichen Host entdecken. Ingmar leerte in absoluter Gelassenheit seine letzten Kartons, während die Engländerin, nennen wir sie mal Amy (den Namen weiß ich leider nicht mehr) mit der Selbstverständlichkeit einer wahren Couchsurferin eine Pfanne auf den Herd stellte. “Now, lunch.”

Im allgemeinen Gewusel bereitete Amy mit ihren Freunden ein Essen vor, eine spanische Frittata aus Kartoffeln, Ei und Gemüse. Ich spürte, wie mein Magen knurrte (deshalb kann ich mich bis heute so gut an das Gericht erinnern) und kam mir gleichzeitig etwas Fehl am Platz vor. Doch das war vollkommen unbegründet. Als das Essen fertig war, setzten sich alle auf den Boden (die winzige Couch, die zudem auch Mandys und mein Bett werden sollte, hätte beim besten Willen nicht für alle gereicht). Lachend und schwatzend reichte Amy jedem einen Teller voll mit Frittata. Ingmar brachte sie den Teller zu seinen Kartons, der gleich im Stehen mit dem Essen begann. Dann kam sie mit einem Teller zu mir. Hier spürte ich zum allerersten Mal den Geist des Couchsurfings und mir riss es fast den Boden unter den Füßen weg.

Da stand ein junges Mädchen inmitten einer wildfremden Wohnung und kochte für Leute, die sie nicht kannte. Doch das sollte erst der Anfang sein.

Nach dem wirklich köstlichen Essen mussten Amy und ihre Freunde los, natürlich nicht ohne mich und Mandy noch ein letztes Mal einzuladen, sie zu begleiten. Ich glaube, Ingmar hatte erst jetzt gemerkt, dass wir überhaupt da sind. Er zeigte uns die Couch, vor der wir die ganze Zeit gesessen hatten. Ich fragte ihn, warum er so kurz nach seinem Einzug denn schon Gäste hätte und ob er sich nicht erstmal in Ruhe hätte einrichten wollen. Doch er zuckte nur mit der Schulter und meinte, dass er eben nicht gerne allein wäre.

Die Couch war zum Ausklappen, so hatten Mandy und ich also doch genug Platz zum Schlafen. Wir breiteten unsere Schlafsäcke aus und freuten uns wie Schneekönige. Dann erklärte uns Ingmar den Rest seiner Wohnung. Die Wohnung bestand nur aus einem Raum. Flur, Wohnbereich, Schlafbereich UND Küche waren ein Raum. Nur das Bad war hinter einer extra Tür verborgen.

Somit wurde klar, dass wir hier wohnen, essen, kochen und schlafen würden – und zwar mit Ingmar. Sofort schossen mir die Horrorvergewaltigungsstorys wieder durch den Kopf. Doch als ich mir den lieben schlaksigen und schon etwas lichter werdenden Ingmar so ansah, überkam mich eher das Bedürfnis ihn zu knuddeln, statt mit der Bratpfanne zu verhauen. Das Zimmer war so eingerichtet, dass sein Bett in einer Nische stand, davor ein großer Schrank. Und vor dem Schrank wiederum erst unsere Couch. So wurde wenigstens ein bisschen Privatsphäre gewahrt. Nachdem die Schlossführung beendet war, drückte mir Ingmar auch prompt seinen Wohnungsschlüssel in die Hand.

“Bitte seid leise, wenn ihr erst nachts um 4 die Tür aufschließt. Ich muss 6 Uhr aufstehen!”

Ja, dieser vollkommen Fremde gab uns einfach so seinen Wohnungsschlüssel. Wir konnten ein- und ausgehen und wären auch ganz alleine in der Wohnung. In den folgenden Tagen und Nächten eroberten wir Barcelona im Sturm. Ingmar versorgte uns jeden Tag mit neuen Reiseprospekten, er selbst kannte sich ja noch nicht so gut aus in der Stadt, sodass wir es dann waren, die ihm Tipps für Ausflüge gaben. Er stand jeden Morgen sehr früh auf um zur Arbeit zu gehen, dabei aß er immer eine Schüssel Müsli und war ganz leise, damit wir ausschlafen konnten. Erst viel später schälten wir uns aus unseren Schlafsäcken, machten Frühstück und den Abwasch. Dabei spülten wir auch immer Ingmars Müsli-Schale aus, was ihn sehr freute.

Couchsurfer

Als Couchsurfer genießen wir das süße Leben in Barcelona,

Wir durften auch seine Waschmaschine benutzen und weil wir gerade so schön beim Waschen waren, kümmerten wir uns auch gleich um Ingmars Wäscheberg, der in der eh schon kleinen Wohnung beträchtliche Ausmaße angenommen hatte. So hopsten wir lachend und schnatternd durch die Wohnung, ließen nebenbei eine spanische Telenovela in Ingmars Fernseher laufen und hängten die Wäsche auf. Was Ingmar ganz besonders freute.

Ihn selbst bekamen wir nur sehr wenig zu Gesicht. Er hatte sich zwar ganz fest vorgenommen, auch mal einen Tag etwas mit uns zu unternehmen, doch hatte der Gute so viele Verabredungen mit Kollegen, Freunden und Couchsurfern der Stadt, dass er gar nicht dazu kam.

Die Überraschung

Am vorletzten Tag hatte Ingmar eine Überraschung für uns. Er hatte entdeckt, dass man von seinem Aufgang aus einen Zugang zur Dachterrasse hat. Dort stellte er einen Gartentisch und zwei Stühle auf. Der Ausblick war phantastisch. Kein Hotel hätte uns diesen Blick über die Dächer Barcelonas, zu den beiden Hausbergen und zum Meer bieten können. Wir hatten das umsonst und nur für uns.

Noch mehr Erfahrungen beim Couchsurfing

Von da an war das Eis gebrochen. Es gab für mich keine andere Art des Reisens mehr. “Pauschalreise” wurde für mich zum Reizwort. Ich wollte nichts Pauschales mehr und ich konnte mir nichts individuelleres als Couchsurfing vorstellen. Es gab keine Alternative. So unternahm ich noch weitere Reisen und erlebte, das Ingmar in Sachen Großzügigkeit und Vertrauen kein Einzelfall war. Ganz im Gegenteil. Jeder Host gab mir seinen Schlüssel für die Wohnung. Ich durfte Fahrräder nutzen, bekam Insider-Tipps und wurde zu Partys bei Freunden mitgenommen. Als ich in Athen war, da überließ mir mein Gastgeber Janis sogar sein Bett und schlief selbst auf der Couch.

Es wird sicherlich auch negative Erfahrungen geben und vielleicht hatte ich auch imer wieder eine gute Reisefee bei mir, aber ich selbst habe nie etwas Schlechtes dabei erlebt. Ganz im Gegenteil. Ich hatte eher manchmal ein schlechtes Gewissen, dass ich mich nicht richtig für die erlebte Großzügigkeit revangieren konnte. Doch das wurde auch nie von mir verlangt.

Couchsurfing Griechenland

In Griechenland entdecke ich die Akropolis im Mondschein. Das Fahrrad hat mir ein Couchsurfer geliehen.

Kleine Idee, große Wirkung

Als Veit Kühne seine erste Couchanfrage gestellt hat, da konnte er nicht ahnen, was daraus einmal werden würde. Und er konnte auch nicht ahnen, dass seine Idee eines Tages eine derartige Wirkung auf mich haben könnte und mein Reiseverhalten bis heute beeinflussen würde.

Wie reise ich heute

Inzwischen bin ich 29, berufstätig und habe eine Familie gegründet. Ich entspreche also nicht mehr ganz der Zielgruppe der Couchsurfer. Außerdem hat sich seit meinen eigenen Couchsurfing-Erfahrungen einiges verändert. Die wohl bekannteste Plattform ist seit 2011 keine gemeinnützige Organisation mehr, sondern ein kommerzielles Unternehmen. Viele Couchsurfer beklagen sich darüber, dass dadurch der alte Geist des Couchsurfings verloren gegangen ist. So haben ehemalige Couchsurfer inzwischen spendenbasierte Alternativen wie BeWelcome geschaffen, in denen der Gedanke weiterleben und Datenschutz großgeschrieben werden soll.

Doch obwohl ich heute keine aktive Couchsurferin mehr bin, ist ein Teil davon immer geblieben. Auch heute noch reise ich nur individuell und interessiere mich für die Menschen vor Ort. Ich will in eine Kultur eintauchen und zwar in die echte. Authentische Erfahrungen von echten Menschen. Ohne den Blick hinter die Fassaden verliert das Reisen für mich an Reiz. Und wann immer ein Couchsurfer einen Kaffee trinken möchte, stelle ich mich sofort zur Verfügung.