Mit der Segelyacht einfach aufs offene Meer hinaus und immer dem Horizont entgegen – Ulli und Christoph haben sich diesen Traum erfüllt und sind gestartet. Ihr Ziel: die Karibik. Wir sind dabei und begleiten sie auf ihrer ersten Etappe von den Niederlanden bis in die Bretagne. Hier ist ihr Gastbeitrag.
In diesem Moment haben wir den schönsten Ort für Fernweh erreicht. Wer sich in seiner Sehnsucht nach neuen, fremden Orten so richtig suhlen will, muss hierherkommen. Hier, wo der Sonnenuntergang die unglaublichsten Farbschattierungen in den Himmel malt, wo der Horizont scheinbar unendlich wird und bizarre Felsformationen aus dem Meer ragen.
Wir sind am Ende der Welt angekommen: in Finistère, am westlichsten Ende der Bretagne; wir das sind mein Mann Christoph, den ich bisweilen in ausnehmend übermütiger Laune „Captain“ nenne, außerdem ich, seine Crew, die in jenen seltenen Fällen, in denen sie außerordentliches seglerisches Geschick beweist, zum ersten Maat aufsteigt und unser Segelboot Maha Nanda, eine zehn Meter lange, 40 Jahre alte, liebevoll renovierte Stahlyacht.
Vor zwei Jahren hat uns das seit ewigen Zeiten in uns gärende und durch etliche Urlaube nur unzureichend gestillte Fernweh dermaßen übermannt, dass wir beschlossen hatten, ein Jahr Auszeit zu nehmen und in die Karibik zu segeln. Dieses Jahr im Mai sind wir in den Niederlanden gestartet, weiter über Belgien und die englische Südküste bis zur Bretagne gesegelt – und haben uns in dieses Fleckchen Erde – respektive Gestein – verliebt.
Das Reisen mit einer Segelyacht zeigt Orte aus völlig anderer Perspektive. Zuerst siehst du die Küstenlinie im Dunst, beim Näherkommen die Felsformationen, die es zu umschiffen gilt, und läufst du dann in den Hafen ein, startest du die Stadtbesichtigung als Reise durch die Vergangenheit, denn viele Orte entstanden, historisch betrachtet, direkt am Meer, von wo aus sie sich ins Landesinnere ausbreiteten.
Unsere „Tour de France de la Mer“ begann in der Normandie, nachdem wir den Ärmelkanal, von England kommend, unter ungemütlichsten Umständen durchquert hatten. Wir landeten – unfreiwillig, denn Wind und Welle verhinderten unser geplantes Ziel Cherbourg – in St Vaast de la Hougue. Poseidon sei Dank! Offenbar schickte uns der Meeresgott dies unfreundliche Wetter, um uns an diesen wunderbaren Ort zu bringen. Vor St Vaast mit seinem kleinen Fischerhafen und den uralten Steinhäusern, liegen große Austernbänke, ein faszinierender Anblick. Denn hier in der Normandie befinden wir uns an Europas Küste mit dem größten Gezeitenunterschied, was bewirkt, dass die Austernbänke jeweils für sechs Stunden im Trockenen liegen.
Und damit kommen wir zu einer der zwei größten Herausforderungen für Ärmelkanal-Segler: die Gezeiten. Die Bilder von Booten im Trockenen sind ja lustig anzusehen, aber wenn du selbst da drinsteckst? Im Schlamm zu stecken wollten wir tunlichst vermeiden, was bedeutet: Gut geplant ist halb gesegelt. Bei Niedrigwasser (so heißt die Ebbe im Seglerlatein) kannst du in viele Häfen erst gar nicht rein. Barrieren oder Schleusentore verhindern, dass der Hafen wasserlos wird. Oder du kommst nicht rein, WEIL er eben trocken ist. Da heißt es dann entweder sechs Stunden auf bessere Zeiten – sprich mehr Wasser – warten oder weiterfahren. Zweiteres ist jedoch manches Mal ein Ding der Unmöglichkeit, denn…
Damit sind wir bei der zweiten Herausforderung: dem Strom. Denn Ebbe und Flut verursachen hier im Ärmelkanal starke Strömungen, deren Richtung – erraten – sich alles sechs Stunden um 180 Grad ändert. Tatsächlich gibt es einige Bereiche an der französischen Küste, wo du mit einem durchschnittlichen Segelboot keine Chance gegen den Strom hast. Wo du scheinbar bei gutem Wind segelst, bewegst du dich in Wahrheit rückwärts oder stehst sechs Stunden auf der Stelle rum. Höchst unbefriedigend, daher ebenfalls mit guter Planung unbedingt zu vermeiden.
Maha Nandas Captain und Crew haben sich nach beinahe zwei Montaten Strom-Erfahrung mit diesem arrangiert, ein Arrangement, das uns ermöglichte, langsam aber stetig von der Normandie in die Bretagne zu gelangen. Wir segelten einen Flusslauf bis zur mittelalterlichen Stadt Tréguier hinauf. Ein Ort, der als Filmkulisse für historische Hollywood-Schinken perfekt geeignet und zudem reich an Künstlern und kulturellem Leben ist.
Weiter ging es nach Ploumanac’h, einem magischen Ort. Die wunderbaren Felsformationen vor der bretonischen Küste verändern hier ihre Farbe, in der Abendsonne leuchten sie rosa, was der Küste den Namen Cote de granit rose einbrachte. Romantischer kann ein Hafen nicht sein: kreisrund, gesäumt von bezaubernden alten Steinhäusern, Boote schaukeln an Bojen.
Ach ja, für Prinzessinnen ist der Hafen denkbar ungeeignet, denn so viel Romantik fordert ihren Tribut in Form von mangelndem Komfort. Zu Dusche und Toilette geht es nur mit dem Beiboot, also ran an die Paddel, oh mein Captain. Einkaufsmöglichkeiten suchst du zudem im Ort vergeblich. Wen das nicht abschreckt, der wird von Ploumanc’h begeistert sein.
Ebenso wie von Aber Wrach an jenem Ort am Ende der Welt, der Heimat der schönsten Sonnenuntergänge Europas ist: Finistère. Genau hier, wo die unsichtbare Linie von Lands End in Cornwall bis zur Ile Vierge vor der bretonischen Küste gezogen wird, jene Grenze, die den Atlantik vom Ärmelkanal trennt, segelten wir über das Ende der Welt hinaus. Der Atlantik begrüßte uns liebevoll – mit seinen typischen lagnen Wellen, die Maha Nanda sanft schaukeln ließen… um uns bald danach einen Ausblick auf jene unfreundlichere Zeiten, die uns wohl oder übel im Laufe des Jahres erwarten werden, zu bieten: eine zweite Welle aus einer anderen Richtung, die die Atlantikdünung überlagert. „Kreuzsee“ nennt das der Segler, und sie bedeutet nichts Gutes.
Wenn alles im Inneren des Schiffes, das nicht vorsorglich befestigt wurde, kreuz und quer fliegt, wenn sich die Kühlschranktür in regelmäßigen Abständen öffnet und der Inhalt des Schrankes sich im gesamten Salon verteilt, kommen gelegentlich Zweifel über diese ach so wunderbar entspannende, entschleunigte Art zu reisen auf. Wenn beim Nudelnkochen das Wasser zischend über den Herd schwappt und du fünf Hände brauchst, um Gemüse, Schneidebrett, Messer, Topf und dich selbst festzuhalten, während du wie in einem Tagada (kennt ihr das vom Kirmes?), das sich etliche Grade und völlig irrational in alle Richtungen neigt, Balance zu halten versuchst, steigen die Zweifel.
Doch wenn Poseidon wieder Gnade walten lässt, das Meer spiegelglatt und von der Sonne orangerot beleuchtet wird, während das Schiff sanft dahingleitet und du mit einem Sundowner einfach nur still sitzt… und in das ewig veränderliche Wasser blickst, dann weißt du wieder, warum du dich für dieses Jahr auf See entschieden hast. Reisen bis ans Ende der Fernweh.
Wir bedanken uns sehr für diesen inspirierenden Gastartikel. Wer steckt dahinter:
Ulli (50 Jahre) und Christoph (51 Jahre) sind zwei Niederösterreicher, die für ein Jahr dem meerlosen Zustand ihres Lebens entfliehen und an Bord ihrer Segelyacht Maha Nanda von den Niederlanden Richtung Südwesten segeln. Ziel ist die Karibik, aber alles ist möglich und Richtung Osten ins Mittelmeer abzubiegen auch keine Schande.
Bis Mai 2020 werden sie auf ihrem Blog sailing-mahananda.com über ihre Erlebnisse, kleine Katastrophen und persönliche Erfolge, Menschen am Meer und das große Glück berichten. Der Name „Maha Nanda“ ist aus dem Sanskrit und bedeutet „Das große Glück“.
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